10.05.2021
„Home-living“ gelingt – Senioren und Seniorinnen digital aktiv zu Hause und das nicht erst seit Corona!
Alle reden von Internet, Telemedizin und WhatsApp. Der Einkauf soll über „Click und Collect“ geregelt und Impftermine online vereinbart werden. Doch wie sieht der Umgang mit der digitalen Welt von Senioren und Seniorinnen wirklich aus und was benötigen sie?
Bereits im Sommer 2020 erfolgte gemeinsam mit der Hochschule Fulda eine Bedarfs- und Nutzungserhebung bei mehr als 1.300 über 65-Jährigen in Friedewald und Hauneck (als repräsentative Gemeinden - aufgrund der Altersstruktur in der Bevölkerung). Die Ergebnisse liegen nun vor. Die wissenschaftliche Bearbeitung hat Zeit in Anspruch genommen, bringt allerdings eine fundierte Auswertung für den ländlichen Raum.
Trotz Corona antworteten ein Drittel der Befragten. Die Bögen wurden zu 56 % von Männern und zu 44 % von Frauen ausgefüllt. Die große Mehrheit der über 65-Jährigen ist durchschnittlich mit digitalen Medien, insbesondere dem Internet ausgestattet, und gegenüber der Technik aufgeschlossen. Frauen haben zwar etwas seltener einen Internetanschluss, einen Computer oder ein Tablet und sind auch weniger aktiv im Netz, aber je jünger sie sind, desto ähnlicher sind sich die Geschlechter in Bezug auf das Nutzerverhalten digitaler Medien.
Leben ältere Menschen alleine, sind sie weniger gut mit Internet und digitaler Technik ausgestattet. Auch wenn sie gerne auf den Hausnotruf zurückgreifen, der ihnen Sicherheit in der häuslichen Umgebung gibt und im Notfall helfen kann. Erste Kreisbeigeordnete Elke Künholz sieht genau hier die Notwendigkeit für weitere Unterstützungsleistungen. „Über den Fachdienst Senioren können Tablets geliehen und der Umgang damit erprobt werden. Gerade die Nutzung von Videotelefonie mit Angehörigen und Freunden wirken gegen eine Vereinsamung und das online Bestellen und Nutzen vom Lieferservice des Lebensmittelhändlers und der Apotheke vor Ort erhalten die Selbständigkeit“
Insgesamt gilt, dass die „jungen Alten“ bis 75 Jahren die aktivsten sind, gefolgt von den bis 84-Jährigen. Am wenigsten aktiv sind die über 85-Jährigen. Zwar ist bei diesen der Hausnotrufdienst am weitesten verbreitet; Telemedizin aber wenig bekannt. Mit steigendem Alter nehmen in der Regel Gesundheitsbeeinträchtigungen zu und es steigt dann sogar die Offenheit für technische innovative Unterstützungsleistungen (vom Saugroboter bis hin zum Hausnotruf).
Seniorinnen und Senioren sind kritisch und für sie spielt vorrangig die Leistungsfähigkeit von Endgeräten eine Rolle bei der Anschaffung. Sie ist wichtiger als Design, Preis oder die Meinung Dritter. Vor allem für Männer spielen die objektiven Kriterien die wesentliche Rolle, wohingegen Frauen mehr Wert auf die Gestaltung und die Meinung Dritter legen. Auch beim Surfen im Netz suchen Männer öfter nach Informationen (Nachrichtendienste) im Vergleich zu Frauen, die eher soziale Foren (Messenger-Dienste) nutzen. Einfluss auf Kaufentscheidungen haben meist die engsten Familienangehörigen oder Freunde und darüber hinaus Expert*innen aus dem Gesundheitswesen, wie Ärzte, Therapeuten oder Apotheker.
Nachholbedarf besteht insbesondere für Menschen mit Behinderung im Alter. Sie sind deutlich schlechter mit Technik ausgestattet; gleichermaßen aber informierter über gesundheitsrelevante Themen und offener für Möglichkeiten mit der Technik fit zu bleiben. Hier zeigt sich, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen und möglicherweise (die Angst vor) Abhängigkeit dazu führen, digitale Unterstützungsleistungen auch anzunehmen. Und: Noch immer ist die Verfügbarkeit des Internets eindeutig vom Einkommen abhängig und auch technische Systeme und Endgeräte werden (bis auf den Hausnotruf) einkommensabhängig genutzt.
Aus der Bedarfs- und Nutzungsstudie der Hochschule Fulda lässt sich erkennen, dass in der älteren Bevölkerung im Landkreis eine hohe Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Unterstützungsleistungen besteht. Allerdings sind alleine lebende Menschen mit Behinderung oder männliche Bürger eher in Gefahr, hinter den Möglichkeiten der digitalen Kommunikations- und technischer Assistenzsysteme zu bleiben. Behinderte sind weniger gut ausgestattet und alleinlebende Männer lassen sich weniger gerne durch Andere helfen. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen besteht noch immer ein geschlechtsspezifischer Unterschied hinsichtlich der Techniknutzung, wobei Frauen mögliche geringere Routine durch das Zulassen von Ratschlägen und Hilfe Dritter ausgleichen. Ein geringes Einkommen führt zu einer weniger guten Angebotsnutzung und eingeschränkt vorhandene finanzielle Mittel sind somit bei allen weiteren politischen Überlegungen mit zu berücksichtigten.
Elke Künholz bedankt sich für die Teilnahme an der Umfrage in den Gemeinden Friedewald und Hauneck: „Dies brachte repräsentative Ergebnisse für unseren ländlich geprägten Landkreis und bietet wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse, die ermöglichen, thematisch am Ball zu bleiben.“ Um Seniorinnen und Senioren in die Lage zu versetzen, digital dauerhaft aktiv zu leben, bedarf es Unterstützung, in einer vertrauensvollen Beziehung. Hier ist das regionale Ehrenamt gefragt. Freiwilligenengagement über Generationen hinweg oder nach dem Motto „von Älteren für Ältere sind gleichermaßen denkbar. Die Freiwilligen brauchen allerdings Zeit und Geduld sowie ein ausreichend geschultes digitales Verständnis, um helfen zu können.
Es bleibt abzuwarten, wohin die Reise geht bei uns im Landkreis; denn eines ist spätestens seit der aktuellen Krise klar: „Home-living“ (sowie home-schooling) ist so modisch und nötig wie noch nie und auch möglich – man muss sich nur zu helfen wissen und gemeinsam lernen wollen!
Info-Kasten:
Unter dem Titel „Zuhause.Gut.Vernetzt“ konnte ein Projekt zur Umsetzung und Verbesserung von „Digitaler Teilhabe“ für ältere Menschen und Menschen mit Behinderung im Landkreis Hersfeld-Rotenburg angestoßen werden. Bisher gelang dies durch eine Förderung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Nun wird dieses Unterfangen durch den Landkreis, mit Zuständigkeit des Fachdienst Senioren, weitergeführt.
Die Datenerhebung erfolgte durch den Fachdienst Senioren des Landkreises, Studenten und Studentinnen der Hochschule Fulda. Die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung wurde durch ein Team des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda unter Leitung von Frau Prof. Dr. habil Susanne Esslinger erbracht. Die Auswertung, die heute vorliegt, erfolgte u.a. im Rahmen einer Masterarbeit.
Infos zur Studie und der weiteren Projektarbeit „Zuhause.Gut.Vernetzt“ erhalten Sie im Fachdienst Senioren: Antje Tiedt und Dirk Hewig (Tel. 06621/875308 oder antje.tiedt@hef-rof.de)
(Antje Tiedt (links), Projektmitarbeiterin im Gespräch mit einer Seniorin aus dem Landkreis. Gespräche können seit einem Jahr „Corona bedingt“ natürlich nur mit Abstand und Maske am „Gartenzaun“ stattfinden.)